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Biografisches

Martin Specht, geboren 1964, ist Buchautor, Ghostwriter und Journalist. Er berichtete von den Kriegsschauplätzen im Irak, Afghanistan, Ruanda, dem Kongo, Sudan, Liberia, Mali, dem Balkan, sowie aus zahlreichen Ländern Lateinamerikas und dokumentierte im Auftrag der Vereinten Nationen die Folgen eines Erdbebens in Pakistan und eine Hungersnot in Niger. Er ist Verfasser mehrer Sachbücher (Amazonas, Narco Wars, Kolumbien) und Ghostwriter des Spiegel-Bestsellers Mythos Fremdenlegion. Martin Specht ist mit der Biologin Diana Castillo verheiratet und lebt in Medellín, Kolumbien.

Über mich und Narco Wars: Eine Rezension von Sabine Riedel

Von einem, der auszieht und über Geschichten stolpert

Martin Specht erzählt in seinem neuen Buch Narco Wars über den globalen Drogenkrieg / Sabine Riedel

Wer ich bin und was ich tue – ist für Sie ohne großes Interesse. Wenn ich Ihnen doch etwas von mir erzähle, dann geschieht dies nur, um den Bogen zu kriegen zu der Person, von der ich eigentlich erzählen möchte.

Ich bin seit vielen Jahren Journalistin, angefangen habe ich in der Lokalredaktion einer Frankfurter Tageszeitung. Jeden Morgen um zehn versammelte sich die Redaktion, um die Themen des Tages zu besprechen. Jeden Tag ein neues Thema, eine neue Geschichte. So funktioniert das Tageszeitungsgeschäft. Es überforderte mich. Und so geschah es nicht selten, dass ich in der Zehn Uhr –Konferenz saß, und wenn die Reihe an mir war, sagte ich mit leiser Stimme: Ich weiß nicht, worüber ich heute schreibe. Der Redaktionsleiter hob den Kopf, sah mich sichtlich irritiert an und sagte in seinem für die Nichthessin, die ich war, schwer erträglichen hessischen Zungenschlag: dann gehn Se mal uff de Gass.

Und so ging ich uff de Gass, und nach zwei Stunden kam ich zurück und wußte, worüber ich schreiben würde.

Im Journalismus gibt es ein geflügeltes Wort: Die Geschichten liegen auf der Straße. So ist es. Und manchmal muss man einfach nur seinen Mantel nehmen, die Schuhe schnüren und losgehen.

Einer, der das seit Jahren tut und den ich dafür grenzenlos bewundere, ist Martin Specht. Einfach losgehen – mir fiel das immer schwer. Ich dachte immer zu viel darüber nach, was alles schiefgehen könnte. Ich erinnere mich, wie ich vor ein paar Jahren mit Martin Specht nach Rotterdam fuhr. Diese Stadt hatte sich durch die Zuwanderung von Menschen aus muslimischen Ländern verändert. Sie stellen heute die Bevölkerungsmehrheit, und der Bürgermeister ist marrokanischen Urspungs. Das interessierte uns. Wir liefen durch Rotterdam und standen plötzlich vor einer Moschee von imposanten Ausmaßen. Ich wollte gerne hineingehen, und ich bin sicher, wäre ich allein gewesen, hätte ich es nicht gewagt, zu groß war meine Befürchtung, eine Grenze zu verletzen. Aber Martin sagte: Nun komm schon, lass uns mal reingehen. Und so lernten wir den Imam kennen, der uns zu einem Tee einlud und später saß ich zum ersten Mal in meinem Leben auf dem mit Teppich ausgelegten Boden einer Moschee und lauschte dem Freitagsgebet.

Manchmal muss man einfach nur losgehen.

Martin Specht tut das seit vielen Jahren. Er begann als Fotograf und dokumentierte den ersten Irakkrieg Anfang der 90er Jahre. Er folgte den Amerikanern in die „Schurkenstaaten“ und beobachtete ihren Kampf gegen das Böse. Immer wieder Irak, immer wieder Afghanistan, und ich fragte ihn: wie hältst du das aus? Diese Hitze, dieses stundenlange Marschieren durch die Wüste mit 40 Kilo Marschgepäck. Wie gesagt, meine Bewunderung war grenzenlos.

Und weil Bilder vielleicht nicht die ganze Geschichte erzählen, begann er irgendwann zu schreiben. Sein erstes Buch erzählte die Geschichten von Männern, die ihre bürgerliche Existenz hinter sich ließen und in der Fremdenlegion für die Interessen eines fremden Staates kämpften. (Auch so ein Typus Mann, der sich einfach auf den Weg macht.)

Martin Spechts neues Buch führt auf die Spuren des globalen Drogenkriegs. Wir folgen ihm nach Lateinamerika, kein Land bleibt hier von der Drogenproblematik verschont. Neben den Drogenpflanzen produzierenden Ländern wie Kolumbien, Bolivien und Peru spielen auch Durchgangsländer wie Argentinien, Brasilien, Mexiko, Venezuela und Chile eine bedeutende Rolle. Die Bedingungen zur Etablierung von Drogenkulturen sind ideal: strukturelle Probleme, fehlende staatliche Institutionen, Armut, interne politische Konflikte, günstige Klimabedingungen und eine hohe Nachfrage auf dem Weltmarkt.

Der illegale Drogenhandel fordert Demokratie und Rechtsstaatlichkeit heraus. Wenn ein Staat seine drei laut Völkerrecht definierten Komponenten – Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt – verliert, spricht man von einem failed state, einem gescheiterten Staat. Oft treten an dessen Stelle parallelstaatliche Strukturen: warlords in Afrika, islamistische Terrororganisationen im Nahen Osten, mafia-ähnliche Drogenkartelle in Mittelamerika. Ein Beispiel ist Mexiko, wo mächtige Drogenkartelle das Gewaltmonopol herausfordern und dabei sind, den Staat von innen zu zersetzen. Wir sind in einem asymmetrischen Krieg: Drogenkartelle, von Sinaloa bis Juarez, im Krieg gegen Soldaten und Polizisten. 100. 000, vielleicht auch 250.000 Menschen fielen diesem Krieg in den letzten Jahren zum Opfer, man zählte 400 Entführungen am Tag, 500 Enthauptungen pro Jahr, mehr als 100.000 Menschen werden vermißt. Wir sind mit Martin Specht in der Stadt Ciudad Juarez, wir bekommen eine Ahnung von dem alltäglichen Irrsinn, der diese Stadt regiert: dem Terror der Drogenbanden, der Rechtlosigkeit, dem Machismo, der Frauen zu rechtlosen Objekten erklärt, von Journalisten, die verschwinden, und wir sehen, wie lächerlich es ist, wenn die Staatsanwaltschaft zum Beweis ihrer Effizienz den versammelten Lokaljournalisten einen frisch verhafteten Verdächtigen vorführt.

Wir sind in Kolumbien, wo auch heute noch der einst mächtigste Drogenbaron Pablo Escobar von der armen Bevölkerung als Wohltäter verehrt wird. Wir stehen am Rand einer Koka-Plantage und hören zu, was ein einfacher Koka-Bauer Martin Specht und uns erzählt. Für seine Kokablätter bezahlen seine Abnehmer 50 Cent bis einen Euro 20 für ein Gramm, der Konsument in den USA oder Europa zahlt für ein Gramm Kokain 50 bis 200 Euro. Das ist der Unterschied zwischen einem kolumbianischen Kleinbauern und einem Europäer aus dem gutsituierten Bürgertum: Für den einen ist die Kokapflanze von existentieller Bedeutung, für den anderen das Kokain die Würze seines hedonistischen Lebensstils.

Wie fand er diesen Kokabauer? Nun, er lief ihm einfach über den Weg.

Das nennt man Reporterglück. Es funktioniert meistens nach dem Prinzip jemand – kennt – jemanden – und – der – kennt – jemanden.

Und so begegnet Martin Specht in Honduras einem, der jemanden kennt, der einen Auftragskiller kennt. Wir sitzen ihm gegenüber, sehen, wie er mit seiner Pistole spielt, die er fast liebevoll Mama Juana nennt. Er tötet für Drogenkartelle und für jeden, der ihn angemessen bezahlt. Töten ist sein Droge, hat er keinen Auftrag, wird er nach drei Tagen nervös wie ein Junkie auf kaltem Entzug.

Wir sind in Honduras, wo Jugendbanden das staatliche Gewaltmonopol längst unterwandert haben. Sie haben ein grausames Aufnahmeritual: 13 Sekunden lang prügelt ein Dutzend Männer auf den Anwärter ein. Wer das übersteht, gehört dazu: zur Jugendbande Mara Salvatrucha. Sie ist eine der brutalsten Gangs der Welt, ihre Mitglieder stehlen, erpressen, vergewaltigen, morden, kontrollieren den Waffen-, Drogen- und Menschenhandel, herrschen über ganze Städte und nehmen von den Bewohnern Steuern ein. Drei Jahre währt die durchschnittliche Lebenserwartung eines Marero ab dem Einstieg in die Bande. Länger überlebt kaum einer die vida loca, das verrückte Leben zwischen Gruppensolidarität, Drogenrausch und Gewaltexzessen.

Wir sind in Afghanistan, das den Weltmarkt für Opiate dominiert. Die Opiumproduktion geht weitestgehend auf die Zeit der sowjetischen Besatzung zurück. Warlords produzierten gezielt Opium, um mit den Profiten Waffen zu kaufen. Die CIA tolerierte die Produktion der illegalen Substanzen mit dem Ziel, den Widerstand gegen die UdSSR zu fördern. Nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 begann im Oktober die US-amerikanische Offensive gegen die Taliban. Im November kollabierte die afghanische Wirtschaft, was viele Kleinbauern zum Anbau von Schlafmohn zurückführte, der unter der Herrschaft der Taliban als unislamisch verboten worden war. In den Folgejahren gab es Rekordernten für Schlafmohn. Der Kampf gegen die Drogenwirtschaft gestaltet sich schwierig. Es gibt zu viele korrupte Beamte, und auch die US-Amerikaner zeigen in ihrem erklärten war on drugs eine bemerkenswerte Doppelmoral. Wo immer es ihnen aus strategischen Gründen opportun erscheint, lassen sie die den Opiumhandel kontrollierenden Warlords gewähren.

All das können wir erfahren, ohne unsere wohltemperierte Komfortzone verlassen zu müssen. Wir können es erfahren, weil sich einer wie Martin Specht uff de Gass getraut hat.

„WAR“ Meine Fotografien aus dem Irak und Afghanistan in den Jahren 2007 bis 2014 (in Form eines PDF-„Fipbooks“)